Über Re:Integrationshürden - Wie es ist, nach vier Jahren in Bella Italia wieder in Deutschland zu leben!

Früher habe ich mich über all diejenigen gewundert, die in der Oberstufe von einem halbem Austauschjahr in den USA mit breitem amerikanischen Akzent und starken Grammatik-Schwächen in Deutsch zurückkamen. Als ob man in 6 Monaten seine Muttersprache verlernen könnte! Nachdem ich nun selbst vier Jahre im Ausland verbracht habe, bringe ich ein wenig mehr Verständnis für die Sprachbarrieren meiner ehemaligen Mitschüler auf. Allerdings habe ich keinen italienischen Akzent aus Rom mitgebracht, sondern gewisse Verständnisprobleme. Ständig stolpere ich im Alltag über Dinge und menschliches Verhalten, das mir merkwürdig fremd vorkommt. Nur zum Beispiel: Cappuccino-Tassen so absurd groß, dass man darin einen Säugling baden könnte - wäre da nicht diese Milchhaube, deren Bauschaum-Konsistenz jedes Vordringen zum flüssigen Untergrund unmöglich macht. Oder Supermarkt-Kunden an der Kasse in der Schlange hinter mir, die kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehen, nur weil ich meine Einkäufe auf dem Laufband nicht mit einem Warentrenner separiert habe. Oder Autofahrer, die bereits 50 Meter vor dem Zebrastreifen anhalten, damit ich die Straßenseite wechseln kann. Warum mir ausgerechnet dieses Verkehrsregel konforme Verhalten so seltsam vorkommt, möchte ich Euch heute erläutern.

Über Re:Integrationshürden am Zebrastreifen

 

In Rom sind Zebrastreifen kein sicherer Ort für Fußgänger! Römische Autofahrer nutzen die weißen Balken entweder als Parkplatzmarkierung oder als hilfreiche Linien, um Fußgänger besser ins Visier nehmen zu können. Kaum jemand kommt auf die Idee, freiwillig davor anzuhalten. In Rom braucht es Courage und die Berücksichtigung einiger Regeln, um unfallfrei eine Straße zu überqueren. Gerade an breiten und vielbefahrenen Stellen sollte man nur in der Gruppe den Zebrastreifen betreten. Und immer schön den Blickkontakt mit den heran rasenden Autofahrern suchen! Menschen, denen man einmal tief in die Augen geschaut hat, überfährt man nicht so einfach. Denke ich mir zumindest. Wenn man es einmal auf den Zebrastreifen geschafft hat, sollte man in einem gleichbleibenden Tempo marschieren. So können die Auto- und Rollerfahrer, die vor und hinter dem straßenüberquerenden Fußgänger vorbei rasen, (hoffentlich) besser die Abstände kalkulieren.

 

Solche und ganz viele andere Erfahrungen im römischen Straßenverkehr haben mich so geprägt, dass ich hier in Deutschland keinem Autofahrer trauen kann, der vor einem Zebrastreifen anhält. Vor allem wenn er schon 50 Meter davor auf die Bremse tritt. Nimmt sie oder er etwa Anlauf, um mich gleich gezielter auf die Kühlerhaube nehmen zu können?  Oder ist sie oder er gerade mit dem Handy beschäftigt (wie 90 Prozent der Autofahrer in Rom) und ist sich meiner Anwesenheit gar nicht bewusst? Also suche ich auch an deutschen Zebrastreifen zuerst Blickkontakt, bevor ich die Straße betrete. Allerdings führt mein Zögern hierzulande zu Irritationen hinter dem Lenkrad. Viele Autofahrer interpretieren mein tiefes Misstrauen, als Zeichen meines Unwillens die Straßenseite zu wechseln und fahren gerade in diesem Moment wieder an, in dem ich mich schließlich doch entschieden habe, den Schritt auf die Straße zu wagen. An der Überwindung dieser Re:Integrationshürde muss ich wohl schleunigst arbeiten, um langfristig unfallfrei über deutsche Zebrastreifen zu gelangen! 

 

Stop? Mit Zebrastreifen fast immer - ohne fast nie!

Das mit dem Blickkontakt funktioniert in Rom übrigens ebenfalls, wenn keine weißen Streifen auf der Straße sind. Es ist durchaus üblich rein aus Höflichkeit - vor allem wenn ein Mann am Steuer sitzt und eine Frau die Straße überqueren möchte - anzuhalten. Was jedoch nicht heißt, dass ein dahinter fahrender Rollerfahrer - völlig unabhängig vom Geschlecht - einfach an dem Auto vorbei zieht und im schlechtesten Fall den Fußgänger erwischt. 

 

Zurück in Deutschland gerate ich äußerst selten in solch eine Situation. Nicht weil hier weniger Roller auf den Straßen unterwegs sind, sondern weil erst gar kein Auto stoppt. So absurd für Römer die Idee ist, automatisch vor einem Zebrastreifen anzuhalten, so abwegig scheint für viele Autofahrer hier, die Vorstellung einem Fußgänger ohne weiße Streifen auf der Straße den Vortritt zu lassen. Selbst an der viel zu schmalen Straße vor meiner Haustür, lenkt sie oder er lieber den viel zu breiten SUV über den Bürgersteig und meine Füße, als kurz anzuhalten. Beschweren darf ich mich über solch ein Verkehrsregel konformes Verhalten natürlich nicht. Es ist nur eine weitere Re:Integrationshürde, die es zu meistern gilt. So wie die Gepflogenheiten an deutschen Supermarktkassen, an die ich mich erst wieder gewöhnen muss und von denen ich nächsten Sonntag erzählen werde. 

 

Wenn Euch bis dahin eine misstrauisch dreinblickende Frau am Zebrastreifen auffällt,

das bin dann wohl ich!


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